Editors, The Maccabees, Wintersleep, 20. November, Bielefeld, Ringlokschuppen

Samstag, 21. November 2009 um 02:37 Mars Galliculus
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Wenn man als DJ die Gäste eines vorangegangenen Konzertes mit in die Discoveranstaltung nehmen will, dann empfiehlt es sich, sich stilistisch an das Konzert anzuschmiegen. Eine Band ist dabei beim Auflegen erstmal tabu (für mindestens 1-2 Stunden): die Band, die vorher gespielt hat. Das ist so eine unausgesprochene Spielregel. Und nach der hat der DJ im Ringlokschuppen in meinen Augen und vor allem Ohren ordentlich Minuspunkte gemacht, indem er etwas 70% seines Programms mit Editors-Songs bestritt. Wenigstens hatte ich dabei mehr Platz zu den tollen Songs zu tanzen, als beim Konzert selbst, aber bis zu drei Editors-Songs am Stück – sowas macht ein guter DJ einfach nicht! Ein guter DJ baut auch keine knallelauten hohen flirrigen Quietschgeräusche in einen Song, so dass ich nicht mehr weiß, ob diese Töne aus den Boxen kommen oder schon in meinem Kopf passieren – ein Klangexperiment vom DJ oder ein akuter Hörsturz? Vor allem haben um mich herum alle fröhlich weitergetanzt, als wäre das ganz normal. Ich hab dabei förmlich meine Haarzellen absterben spüren – nicht lustig.

Aber drehen wir doch mal die Zeit wieder etwas zurück. Nur wenige Minuten vor Beginn der ersten Band war ich im Ringlokschuppen, nachdem ich mich kurz vorher dazu durchgerungen habe, den Eintritt von mindestens 25 Euro auf mich zu nehmen – super Timing also. Vorm Eingang konnte ich auch die Abendkassengebühr einsparen, da jemand noch Karten loswerden musste. Das kam mir dann ja auch sehr entgegen. Als ich ankam, wähnte ich mich ca. 10 Jahre über dem Altersdurchschnitt und kannte keinen Menschen. Ersteres änderte sich später von selbst (indem ich jünger wurde ... nee, der Altersdurchschnitt stieg). Ich hörte mir zwei Songs lang die Kanadier Wintersleep an. Der Bassist sah aus wie Alf Poier und die Musik langweilte mich total. Also lief ich im Gebäude hin und her  in der Hoffnung doch noch auf bekannte Gesichter zu stoßen. Und da mir das nicht gelang, mischte ich mich einfach in fremder Leute Gespräch ein und quatschte da ein bisschen mit. Man muss ja auch nicht immer dem kontaktscheuen Klischee unserer Region folgen.

Wir philosophierten über das beliebte Thema Konzerteintrittspreisentwicklung. 25 Euro heute für die Editors, und vor 12 Jahren fand ich 20 DM für die Stiff Little Fingers absolut übertrieben. Und 1994 die Toten Hosen in der Seidenstickerhalle für 27 Mark, das war schon was richtig Großes. Iggy Pop im Kick für 40 Mark war absoluter Hochpreiswahnsinn zum Rumschimpfen. Mein Gegenüber hatte die Hosen einst im Vorprogramm der Rolling Stones gesehen. Und so kamen wir zum Thema des Aufhörens zur rechten Zeit. Man mache es beispielsweise wie die Beatles, die Band auflösen, wenn's gerade anfängt bergab zu gehen und dann ein paar Jahre später lässt sich ein wichtiges Ex-Bandmitglied erschießen, damit's keine Reunion gibt. Oder man ist so konsequent wie Abba und scheut eine Reunion wie der Teufel das Weihwasser. Der Train of Thoughts fuhr munter weiter Richtung Rentendepression. Ein Lehrer meiner ehemaligen Schule hat sich direkt nach Renteneintritt das Leben genommen. Nach dem Ende des Berufsleben in ein Sinnloch zu fallen ist ein ernsthaftes Problem für viele Menschen. Würden die Rolling Stones für immer aufhören Musik zu machen, so wäre auch ihnen voraussichtlich eine Krise gewiss. So gesehen sind die Fans, die immer noch zu Rolling-Stones-Konzerten gehen, so etwas wie Beschäftigungstherapeuten, die ein gutes Werk tun. Und das sollte man den alten Herren gewiss gönnen. Wenngleich ich auf das Prinzip, dass die Therapeuten ihre Klienten bezahlen ein bisschen neidisch bin. Ich erwähnte zum Thema Vorbands der Rollings Stones auch, dass es da einst eine Band gegeben hat, derer Präsenz im Vorprogramm sich die Stones nachhaltig schämen sollten. Den Namen dieser Band brauchte ich garnicht erst erwähnen – eine Band, die auf dem Höhepunkt ihres Erfolges aufgehört hat. Der Grund dafür, dass die Stones seit Jahren ziemlich belanglos klingen – auch wenn „A Bigger Bang“ wieder einen Tucken knackiger klang, als das Oeuvre der vorangegangen Jahre – ist ja sicher auch weniger das Alter der Band, als die finanzielle Gemütlichkeit in der sie sich bewegt.

Abschweifen ist schon eine schöne Sache. Ein paar Schläge auf die Trommeln lockten mich wieder in die Konzerthalle. Von den Maccabees kannte ich zuvor nur den kleinen Hit „Love you better“. Ein paar Leute im Publikum haben der Band auch immer wieder diesen Titel entgegen gerufen. Als wüsste die Band selbst nicht, wie ihre aktuelle Single heißt. Genauso gut könnte man rufen: „Wir kennen nur einen Song von euch. Den wollen wir hören. Sonst nichts.“ Wie üblich, kam dieser Song als letzte Nummer im Set und dann ging ganz schnell die Pausenmusik an, nachdem zwei Leute gewagt hatten, doch noch „Zugabe“ zu rufen. Dabei waren die Maccabees richtig klasse. „Love you better“ hatte mich in die Annahme versetzt, es könne ganz nett werden, aber viel mehr auch nicht. Aber nein, es gibt sie immer noch: Bands, die einen ihrer schwächsten Songs als Single raushauen. Maccabees machen einen ähnlichen Postpunk-Sound wie die Editors auf ihren ersten beiden Alben und viele andere aktuelle Bands auch. Statt der dunkel-melancholischen Bauchstimme der Editors, gibt es bei den Maccabees helleren, schmerzlich nervösen Gesang. Dazu verhallt klirrende Gitarren und eine tanzanimierende Rhythmusgruppe. Richtig gute Band mit richtig guten Songs.

Da ich immer noch keinen Menschen kannte, mich aber total gesprächig fühlte, quatschte ich ein paar Leute aus Bochum an. Die waren schon beeindruckt davon, wie weit man mit dem Auto noch bis zu Stadtmitte fahren muss, wenn man von der Autobahn die Abfahrt Bielefeld-Zentrum nimmt. Wenn diese Autobahnabfahrt eins nicht ist, dann im Bielefelder Zentrum gelegen.

Ganz flott liefen auch schon die Roadies über die Bühne, die die Instrumente stimmten. Ja, wenn man erstmal Instrumenten-Roadies hat, dann hat man's geschafft. Der Mann im Misfits-T-Shirt lief hin und her zwischen Bassgitarre und Schlagzeug, zupfte hier, trommelte dort, zupfte wieder. Irgendwann waren die Roadies von der Bühne, ein riesiges schwarzes Laken fiel von der Rückwand der Bühne und gab eine große Lichtwand preis. Diese sollte die Show der Editors mit grafischen Spielereien untermalen. Am Ende wurde mit diesem Bildschirm durch eifriges Flackern einmal ausgetestet, ob Epileptiker anwesend waren. Nachdem die Lämpchen frei waren, kamen die Editors auf die Bühne und starteten mit „In this Light and on this Evening“. Wenn die Editors mit ihren ersten beiden Platten eine Neuauflage von Joy Division waren, dann sind sie nun mit ihrer Elektroerweiterung eine Neuauflage von Joy Division mit den Mitteln von New Order - quasi "Love Will Tear Us Apart" im "Blue Monday"-Sound. So ähnlich hätten Joy Division vielleicht in den späten 80ern klingen können, wenn Ian Curtis durchgehalten hätte. Ihm zuliebe hätte man dann aber auch sicherlich auf die Flackerwand verzichtet. Und so bitter das auch ist, ohne Ian Curtis' Depressionen wären Joy Division wahrscheinlich nicht die Legende, die sie durch ihre düstere Stimmung geworden sind. Editors-Frontmann Tom Smith legte zwar mit düsterer Stimme viel Melancholie und auch Pathos in die Songs, machte aber ansonsten einen so souveränen Eindruck, dass ich mir keine ernsthaften Sorgen um seine psychische Gesundheit mache. Dass die Band verstärkt auf Elektronik setzt, gibt ihr größere Variationsmöglichkeiten, die sie auch ordentlich nutzt. Bei den Editors geht es musikalisch durchgehend um ganz große Gefühle - Weltschmerz zum Tanzen. Das hat vor allem sehr viel Theatralik. Irgendwann im Laufe des Konzertes hat mich die Band auch gepackt und mitgerissen. Gerne hätten die Editors auch nach ihrem vier Songs umfassenden – darunter die Überhits „Munich“ und „Papillon“ – Zugabenblock einen oder mehrere weitere Zugabenblöcke spielen dürfen, aber die Tontechniker hatten schon die Schlussmusik zum Laufen gebracht, als just der Applaus für's letzte Stück anfing. Der Ringlokschuppen scheint ja echt rigide Zeitpläne zu haben. Trotzdem ein tolles Konzert an einem Tag, an dem mich ein Schreiben von Arbeitplus schon in Angst und Schrecken versetzt hatte. Auf solche Schocks muss man feine Kultur drauftun, auch wenn man danach eine Woche hungern muss – womit ich wieder beim Thema Konzerteintrittspreispolitik wäre und deshalb den Artikel beende, bevor ich in eine Endlos-Schleife falle, wie man sie für den C64 programmierte, indem man mit dem Befehl GOTO auf eine frühere Zeile verwies.

Editors
The Maccabees


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Aktualisiert ( Samstag, 21. November 2009 um 03:34 )