Johnny Frankenstein, Mad Sin, Schiesser ... Mai 2002

Sonntag, 12. Mai 2002 um 01:00 Mars Galliculus
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JOHNNY FRANKENSTEIN & DIE COSMIC GENDER BENDERS, THE ASTRONAUTS
10.5.'02 Bünde, Villa Kunterbunt
MAD SIN, SOULS ON FIRE, SOUL BOYS
11.5.'02 Bielefeld-Sennestadt, Luna
SCHIESSER, SE SCHRILLOS, SPEEDBOMB
8.5.'02 Bielefeld, AJZ

Das war doch mal wieder ein richtig nettes Konzertwochenende. Nachdem ich bereits mit kostenlosen Konzerten auf dem Münsteraner Stadtfest geliebäugelt hatte, landete ich letztendlich Freitag in der Villa Kunterbunt zu Bünde und tags darauf in Bielefeld-Sennestadt im Luna.
Da ich aufgrund eines, durch eine längst vergessene im Internet herumliegende Kontaktanzeige, Blind Dates schon in Spenge war, ließ ich mich auch gleich in meinem alten Heimatsort von meinem Elternhause abholen. Sven, der große Töne spuckte, das auch noch nach relativ langer Zeit und trotz seiner verschachtelten Lage problemlos wiederzufinden, verfuhr sich dann doch noch ein wenig. Da er aber doch zu mir fand, ging die Fahrt in Richtung Bünde los. Kaum am Ortseingangsschild vorbei fragte er mich nach dem weiteren Weg. Tja, sehr gute Frage, denn auch ich war noch nicht in der Villa seit ihrem Zwangsumzug und so fragte er einfach mal an einer Tankstelle und bekam die Wegbeschreibung dorthin, wo die Villa einem größeren Kreisverkehr weichen musste. Erst ein Taxifahrer am Bahnhof konnte weiterhelfen und so fanden wir das Haus gleich neben einem Friedhof. Und nachdem wir ein paar Pfützen übersprungen haben waren wir auch schon bald drinnen. Sehr nette Atmosphäre in sehr engen Räumlichkeiten. Da die Bühne dort nur äußerst geringfügig erhöht ist, konnte man dann auch gleich kaum was sehen. Bevor es losging trafen wir noch auf alte Weggefährten, die in Ostwestfalen nur noch sehr selten oder noch seltener anzutreffen sind.
Die Cosmic Gender Benders enterten irgendwann die Bühne und ihr Vorsteher Johnny Frankenstein zusammen mit seinem selbsterschaffenen Bass-Monster durchschritt zackig die Tür mit einem hysterisch lauten "Aus dem Weg!" auf den Lippen. Und so ging die berühmt berüchtige Show von Johnny Frankenstein & his Cosmic Gender Benders los. Wie gewohnt voller Energie und Schauspielkunst. Zwar erlebte man die Band auch schon mal in wesentlich extremer Form, aber das was hier geboten wurde, war ja auch schon beeindruckend genug. Neu im Programm war unter anderem eine sehr geile Fassung des alten südamerikanischen Volksliedes vom "Río Rojo", besser bekannt als "Red River Rock" von Johnny und ganz arg windigen Burschen. Nach Johnny Frankenstein stand die Frage im Raum, wie da noch eine andere Band mithalten könnte und prophezeite der reformierten Bielefelder Surf-Legende The Astronauts einen schnellen Untergang an diesem Abend. Aber so sollte es dann doch nicht kommen. In unangenehm aufgehitzter Räumlichkeit marschierten sie komplett in selbstgebastelten Astronautenanzügen mit Styroporhelmen auf die Bühne und zündeten ein Instrumental-Feuerwerk ab, das die Kinnladen der Anwesenden tendenziell dem Erdmittelpunkt wieder näherbrachte. Die Stimmung kochte ähnlich weiter, wie schon bei der Vorgruppe - ein Begriff, der hier nur in Bezug auf die zeitliche Abfolge Relevanz hat. Äußerst beeindruckend war auch der Ausflug des Schlagzeugers ins Publikum, wo er knieend mit einer Tom und einem Becken auskam. Noch immer bin ich sehr froh darüber, nicht in Münster gelandet zu sein.
Am nächsten Tag war meine Mitfahrgelegenheit wieder dieselbe, nur dass ich diesmal mich von meinem aktuellen Zuhause abholen ließ. Auf dem Ostwestfalendamm, unserer schicken Stadtautobahn war ein Zivilpolizeiwagen mit auf dem Dach plazierten Blaulicht zu sehen, und ich meinte zu Sven "Hinter wem die her sind, ist nicht schwer zu erraten.", was er nicht verstand, da er den Radfahrer mit der blauen Wollmütze, der da ordentlich flott in die Pedale trat nicht sah. Der muss gedacht haben, dass alles wo man einen roten Kreis herum malt besonders wichtig ist, und er als Radfahrer dem Schild nach völlig unverzichtbar sei auf dieser Straße. Manche Leute kennen halt ganz besondere Abkürzungen.
In Sennestadt fand sich dann wie erwartet einiges an Publikum, was doch sehr suspekt schien - zu Ärger gekommen ist es glücklicherweise aber nicht. Viele zwielichtige Gestalten waren auch wegen Discipline erschienen, die ihrerseits selbiges aus Krankheitsgründen unterließen. Es gab allerdings auch nicht wenige, die das mit leicht hämischer Freude erfüllte.
Das Luna verbreitete auch an diesem Abend das selbe Flair wie eh und je. Neben Konzertplakaten für die Cockney Rejects und Festivals mit Mururoa Ättack, die laut Plakat nun offiziell aus Scheißstadt kommen, was so treffend wie originell ist, fanden sich ein Verkaufsangebot für einen Kinderwagen mit blauen Mäusen und kleinen Rädern - gut erhalten und eine mit Buntstiften gemalte Anweisung wie Inline-Skates im Hause zu nutzen sein. Daher weiß ich "Es ist cool einen Helm zu tragen" und "Es ist nicht cool es nicht zu tun". Die holzvertäfelten Wände erinnerten mich auch nach wie vor an eine Schulaula.
Ein witziges Detail entdeckte ich noch auf der Rückseite einer Social Distortion Bootleg-LP an einem anwesenden Plattenstand. Und zwar fand sich dort ein Song, der als "Wanked Man" betitelt war. Mutmaßlich dürfte es sich dabei um den Bob Dylan-Klassiker "Wanted Man" handeln. So schnell kann aus einem gesuchten ein gewichster Man werden.
Doch schon gleich bei der ersten Band sollten gerade zwielichtige Gestalten auf ihre Kosten kommen. Der Sänger der Soul Boys ist mit einer gnadenlos guten Stimme gesegnet, doch leider hatte eine völlig identisch klingende Stimme schonmal jemand, der sie dazu nutzte sich darüber zu ereifern, dass der arme Rudolf Hess so lange im Gefängnis sitzen musste und dass England schon völlig übernegert sei. Dieser Mann mit Namen Ian Stuart, der ein so toller Autofahrer war, wie man es sich von jedem Nazi wünscht, sang bekanntermaßen bei der Band Skrewdriver und an dieser schienen sich auch die Soul-Boys musikalisch zu orientieren. Als der Soul-Boys-Sänger den zweiten Song gleich mit einem deutlichen "I don't like you" einläutete, klang das schon sehr sehr brisant. Dass er ein eisernes Kreuz um den Hals trug und seine Markenklamotten größtenteils von Firmen stammten, die in rechten Kreisen äußerst beliebt sind, entspannten das ganze nicht gerade. Jedes Detail für sich ließe sich rechtfertigen, aber das alles in geballter Form lässt die Band zweifelhaft werden - da hilft es auch nicht mehr, dass einer von denen in einem linken Jugendzentrum tätig ist. Es hatte zumindest etwas sehr befremdliches und das anwesende Publikum quittierte es mit ungewöhnlich zögerlichem Applaus.
Die Souls on Fire spielten als zweite und klangen wie tausendmal zuvor gehört. Gutgespielter, aber abgedroschener 08/15-Streetpunk mit "We are the boys, we are the boys"-Chören - ziemlich langweilig.
Ein ganz anderes Kaliber sind da Mad Sin, die ihre Mischung aus Rock'n'Roll Abkömmlingen noch selbst in der Mixer werfen und verrühren und das mit einer gelungenen Bühnenpräsenz verbinden. Der arabische Meat Loaf, den wir zuvor noch auf der Speisekarte im türkischen Imbiss entdeckten tobte wie gewohnt über die Bühne und auch die anderen ließen nichts an Energie vermissen. Auch ihren Feuerspucker hatten sie diesmal mit dabei und irgendwie ist ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Bela B. nicht abzusprechen.
Ein blondierter Kleiderschrank tobte durch den Wrecking Mob, hob einzelne Leute hoch und warf die flach auf den Boden. Plötzlich ergab sich für mich eine supergünstige Gelegenheit und ich konnte ihn einfach so mirnichts dirnichts umwerfen, so dass auch er mal am Boden lag, ohne dass er das auf mich hätte zurückführen können. Aber eigentlich habe ich auch garnicht darüber nachgedacht, das ist einfach instinktiv so geschehen. Danach hat er sich auch zurückgezogen. Mag sein, dass ich auf diese Weise instinktiv eine Schlägerei interveniert habe, denn im Nachhinein hörte ich, dass zumindest einer kurz davor war, ihm eine 'reinzuhauen.
Wie es halt immer so ist auf Gigs von richtig klasse Bands, die schon länger als zwei Jahre existieren, vermisste ich auch hier zumindest einen Song: "El Cattivo", der schon immer so klang, als hätten die Ärzte ihn von Mad Sin gecovert und nicht umgekehrt.
Auf dem Rückweg navigierte ich den kürzesten Weg zu mir so, dass wir zufällig schon bei den beiden anderen Mitfahrern, die eigentlich nach mir abgeliefert werden sollten, fast an der Haustür vorbeifuhren.
Ein paar Tage vorher war ich noch auf dem Benefits-Festival im AJZ Bielefeld für das Umsonst & Draußen Festival in Vlotho. Leider war an jenem Abend der Mischer nicht besonders gut in Form und so endete das ganze mit verärgerten Bands. So kam "Ca plane pour moi" von Schiesser beim Publikum und auch über die Band-Monitor-Boxen bloß als Instrumental-Version an, obgleich Bernd sich gesanglich dafür ordentlich ins Zeug legte. Speedbomb konnten später dann keine Zugaben geben, weil der Mischer nach Abdrehen des Gesangs einfach völlig verschwunden war. Einzig der Auftritt von Se Schrillos ging recht ordentlich über die Bühne, nur gut war der Sound auch da nicht. Speedbomb hatte ich nun erst zum zweiten Mal gesehen, wenn ich mal den Auftritt als Costra einfach mal nicht mitrechne und war recht angetan. Am Bass derselbe Mann, der auch am Freitag darauf im Raumfahreranzug mit den Astronauts dieses Instrument bediente. Speedbomb legten los, mit zwei Instrumentalstücken, die durch hervorragende Arbeit auf zwei - normalerweise eigentlich drei - Gitarren glänzten. Muckel, der eigentlich die dritte Gitarre bedient, wenn ich mich nicht völlig täusche, übernahm mit Verband am Finger den Gesang und so wurde eine Coverversion nach der anderen geboten. Im Gegensatz zu vielen anderen Bands, die mehr oder weniger aktuelle Chartshits als Simpel-Punk herunterrotzen, packen Speedbomb Stücke von Echt, Sugarbabes, Jefferson Airplane, Johnny Kidd & the Pirates, Trio etc. in individuell originell ausgearbeitetes Gewand.


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