Jello Biafra & Melvins + Fantômas + Dälek, 20.6.2005, Köln, Live Music Hall

Dienstag, 21. Juni 2005 um 01:00 Mars Galliculus
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Was schon auf dem Papier äußerst verlockend klang, sollte sich dann tatsächlich als beeindruckendes Konzert seit langem entpuppen. Jello Biafra und Mike Patton am gleichen Abend live erleben zu dürfen, dürfte um längen besser sein, als wenn wirklich mal Ostern und Weihnachten auf einen Tag fielen. Dafür lohnt dann auch ein Besuch in Köln.
Schon beim ersten Betreten der Konzerthalle fiel die Pausenmusik auf, die offensichtlich nicht vom Veranstalter gewählt war, denn dazu war sie nicht nur zu erwählt, sondern auch so genrefremd, unbekannt und leicht skurril, dass man davon ausgehen sollte, Jello und/oder Mike haben da für die Tour etwas zusammengestellt. Die erste Band die dann auf der Bühne stand, war offenbar keine der beiden angekündigten. Ein Rapper von Ice Cubes Statur stand da und rappte. Hinter ihm ein DJ und jemand, der für die Beats zu sorgen schien. Von Rap habe ich nur wenig Ahnung. Zwar höre ich wenn ich das Radio anschalte und da rappt jemand mit weniger als 70% Taktgefühl und obendrein noch dummen Mist wie „Alter sei ein Mann, hör auf deinen Schwanz, mach sie klar und fick sie.“ (Der Text kam kürzlich aus einem vorbeifahrendem Auto), aber auch für besseren Hip-Hop bin ich eher schwer zu begeistern. Die Band stellte sich als Dialect vor, was man laut der Ipecac-Homepage aber Dälek schreibt. Die Band hat den Audio-Engineer vor Ort offenbar überfordert und so klang es recht grausam. Was DJ und Beatlieferant musikalisch ablieferten imponierte mir musikalisch dann aber doch noch tüchtig, auch den Rapper fand ich dann ganz okay. Zwischendurch nahm der DJ den Begriff Scratching absolut wörtlich und kratzte mit der Nadel rhythmisch quer über die Platte, muss ein robustes Equipment sein. Es war eine Mischung aus Old-School-Hip-Hop und derber Noise Avantgarde. Public Enemy trifft Glenn Branca und frühen Krystof Penderecki. Herrn Penderecki hab ich letztens noch in Gütersloh dirigieren sehen dürfen, was auch sehr imposant war – nur wird in der Gütersloher Stadthalle im pikfeinen Café Kakao ohne Milch ausgeschänkt, das sollte unter Strafe stehen.
Nach Dälek ging es wieder mit der Pausenmusik weiter und man konnte schon einen Blick auf das gewaltige Schlagzeug werfen. Fantômas-Drummer Dave Lombardo war gerade mit Slayer auf Tour und stand deshalb für seinen Nebenjob bei Fantômas nicht zur Verfügung. Ersatz für die Tour war nun Terry Bozzio. Der Name sagte mir erstmal nichts, die Tatsache, dass er ein eigenes umfangreiches Merchandise-Sortiment dabei hatte incl. Handtüchern mit seinem aufgestickten Namen machte mich doch neugierig und so forschte ich tags drauf doch mal nach. Und siehe da Terry Bozzio kann auf eine üppige Discografie zurückblicken. Wir hatten es also mit dem einstigen Schlagzeuger von Frank Zappa zu tun, der unter anderem auch schon für Debbie Harry, The Knack, Duran Duran (die da gerade Led Zeppelin und Public Enemy coverten), Dokken, Gary Wright, Steve Vai und gar Richard Marx trommelte. Sein Drumset sieht aus wie ein vollgestopftes Riesenfußballtor und besitzt schon allein 6 Kickdrums.
Als die Soundcheckroadies durch waren, betraten Buzz Osbourne, Trevor Dunn, Terry Bozzio und Mike Patton auf die Bühne. King Buzzo trug zu seiner mittlerweile angegrauten Mopp-Frisur einen Camouflage-farbenen Fred-Feuerstein-Overall und Patton stand hinter seinem mit Synthesizern, drei Mikrophonen, einer Sirene und sonstigem vollgepackten Hi-Tech-Tisch. Vom ersten Ton an war es absolut genial was da geboten wurde. Auch um mich herum war alles begeistert und so wurde laut in jedes Break hineinapplaudiert. Bozzio spielte zeitweise nach Noten Schlagzeug. Patton wechselte souverän zwischen seinen drei Mikros und überzeugte mit seinem vollen Stimmspektrum, bediente nebenbei sämtliche Technik an seinem Pult und dirigierte dann noch seine drei perfekt agierenden Mitstreiter. Kaum zu glauben, dass dieser Mann vor einigen Jahren noch relativ regelmäßig in der Bravo auftauchte mit seiner damaligen Combo Faith No More. Einige Leute versuchten, zu Fantômas zu tanzen, ein hoffnungsloses Unterfangen bei derartiger Vertracktheit. Ich hätte mir die Band mit gleicher Begeisterung auch sitzend ansehen können. Ein Umstand der bei der Hauptband unvorstellbar wäre.
Bei den Melvins mit Jello Biafra ging es musikalisch wieder weitaus straighter zu. Präzisionspunkrock der druchweg nach vorn ging. Jello Biafra gab den singenden Pantomimen, der jeden Text mit überzogenen Gesten untermalte. Da ihm der Inhalt absolut wichtig ist, erkärte er zwischen den Stücken oft auch, worum es ging. Seine Ansagen waren meist politisch und man konnte nur staunen, wie gut er als Ami über das deutsche Politik-Geschehen Bescheid wusste: Schröder, Merkel, Neuwahlen und das alles im Zusammenhang mit der US-Außenpolitik. Also gab es dann ein Stück all jenen gewidmet, die auch nur in Erwägung zogen die christian democratic party zu wählen. Mit „Holiday in Cambodia“, „Life Sentence“ und „California über alles“ gab es auch ein paar Dead Kennedys-Klassiker zu hören. Eigentlich eine traurige Sache, dass man bei letzterem Song nur Jerry Brown gegen Arnold Schwarzenegger austauschen musste, um das Stück wieder absolut aktuell zu haben. Gerade die beiden Stücke vom „Fresh Fruits for Rotten Vegetables“-Album live von Jello zu hören war eine absolute Offenbarung. Nichtsdestotrotz sind auch die neuen Songs mit den Melvins überaus gelungen. Als Jello ins Publikum tauchte, setzte sein Mikro außer Gefecht und er warf sein verschwitztes T-Shirt in die Menge. Wer auch immer es fing, sah es nicht als Geschenk und gab es als ehrlicher Finder einfach zurück. Jello wunderte sich und meinte: "Du gibst es zurück? Das ist nicht mehr wie früher!"
Kurz vor Mitternacht war dann alles schon wieder vorbei. Keine der drei Bands hat sich mit dem dem Von-der-Bühne-gehen-Zugabe-Rufe-Wiederkommen-Spiel abgegeben. Das Set war das Set und fertig. Das Publikum wurde dann sehr zügig aus der Halle gescheucht und alle waren befriedigt und glücklich. Großartiger Abend!
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