Leatherface, Dramamine – 23. April 2010, Forum, Bielefeld

Samstag, 01. Mai 2010 um 09:33 Mars Galliculus
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Noch das schlecht gemischte Abwärts-Konzert vom Vortag in den Ohren stand Freitag Leatherface im Forum auf dem Plan. Veranstaltet wurde von der Kulturgruppe, die diese Band schon diverse Male in ihren Programmkalender gezogen hatte über die Jahre. Umso mehr muss ich mich über mich selbst wundern, dass ich es bislang nie geschafft habe, mir ein Konzert von Leatherface anzuschauen. Und das obwohl ich schon in frühen Teenagerjahren sehr angetan war, von der Leatherface-Fassung von „Message in a Bottle“, die mir bei meinen allsamstäglichen Radiomitschneidesessions in der WDR-1-Schlagerrallye begegnet war.

Damals saß ich Samstag für Samstag von 12 Uhr mittags bis 20 Uhr bzw. im Falle eines mich interessierenden Radiokonzerts auf NDR 2 bis 22 Uhr vor dem Radio und habe mitgeschnitten, was das Zeug hielt. Aufgrund meiner Außenseiterposition hatte ich am Samstag nichts besseres zu tun. Damals gab es auch eine nicht funkentstörte Brotschneidemaschine in unserem Haushalt und meine Mutter warf sie bevorzugt dann an, wenn ich gerade einen Song mitschnitt, der in den folgenden Wochen dann nicht mehr zu bekommen war auf diesem Wege. Ich fluchte laut und warf immer wieder die Option ein, das Brot doch einfach mit dem Messer in Scheiben zu schneiden. Heute weiß ich, dass das Schneiden von Brot mit einem Messer eine äußerst schwierige Angelegenheit ist, die mit ästhetisch fragwürdigen Ergebnissen einhergeht. Immer wenn ich beim Bäcker Brot kaufe, welches noch zu warm ist, um es vor Ort schneiden zu lassen, werden bei mir zu Hause daraus statt gleichmäßigen Scheiben unförmige Klötze, die auf der einen Seite zu Kiefersperren einladen und auf der anderen Seite so dünn auf der Brust sind, dass sie beim Anheben auseinanderfallen. 

Was ich damit sagen will: Erstaunlich, dass mich ein in früher Jugend beeindruckender Song nicht veranlasst hat, die Gelegenheiten zu nutzen, von der Band ein bisschen mehr mitzubekommen! Verpasst hatte ich da etwas. 

Aber erstmal gab es Dramamine auf der Bühne. Der Tontechniker leistete beste Arbeit … sehr wohltuhend! Und die Band hatte Energie, guter Noiserock. Eigentlich ja nicht so mein Ding, wäre mir zu Hause auf Platte auch sicher nicht spannend genug. Da vor Ort war's eine gelungene Einstimmung auf den Abend. 

Der Laden war gut gefüllt, alle Generationen Punkrock der Stadt waren gut vertreten und konnten sich auf Leatherface einigen. Als Leatherface loslegten, verblassten Dramamine ganz schnell in meiner Wahrnehmung. Die Kulturgruppe setzte Leatherface auf ihrer Programmseite im Verleich zwischen Hüsker Dü, Motörhead und Hans Hartz und traf es damit sehr treffend. Von Hüsker Dü die Melancholie und Melodieverspieltheit, von Hans Hartz die Stimme und von Motörhead die Energie. Das war ganz groß, was ich da auf der Bühne erleben durfte, es rockte gewaltig und bot andererseits eine einnehmende Wohligkeit. Jetzt da sich die aktuelle LP „The Stormy Petrol“ – wohl die beste Scheibe der Band seit Jahren – auf dem Plattenteller dreht, kann ich es nochmal nachfühlen. Eine Musik, die einem ein Gefühl von Trost gibt, auch wenn man sich gerade garnicht bewusst war, dass man ihn nötig hatte. An dem Konzertabend hatte ich aber auch wirklich keinen Trost nötig, denn ich war bester Stimmung und ein Haufen Menschen waren da, denen ich zugetan bin.

Zu „You Are My Sunshine“ lud die Band sich alle Leute auf die Bühne ein, die Lust hatten, da mitzusingen. So sprang ich auch dazu als ich etwas verspätet mitbekam, dass es um einen Song ging, den ich durchaus mitsingen konnte. Ich teilte mir das Mikro unter anderem mit Hacker-Charles und Ex-Schiesser-/Ex-Commandantes-Mike.

Nach dem Konzert kam ich von einer Plauderei in die nächste. Auch Dickie, der schon in früheren Tagen als Gitarrist Leatherface mitprägte und seit einiger Zeit wieder dabei ist, quatschte ich darauf an, dass wir uns vor ein paar Jahren kennengelernt hatten, als er als Tontechniker mit den Duvals unterwegs war. Ich erkundigte mich nach den Duvals und erfuhr so, dass der Kern der Duvals heute als The Magnificent Shimmering Beasts aktiv ist. Auch sehr schöner Punkrock mit ähnlichem Schmelz wie bei Leatherface.

Und dann bekam ich auch noch die schmeichelhafte Anfrage von jemanden, der mich als potentiell kompatiblen WG-Genossen für Berlin ausgeguckt hatte. Dabei finde ich selbst mich ja schon als Wohnpartner zu anstrengend. Manchmal muss ich regelrecht mit mir schimpfen. Gestern habe ich die Fernbedienung für meinen TV-Receiver vor mir selbst versteckt, so dass ich eine Dreiviertelstunde damit zubringen musste, sie zu suchen, bis ich mich endlich davon überzeugen konnte, dass im Fernsehen wirklich nichts mehr kam, was mich interessiert hätte. Über die vergeudete Zeit lag ich dann im Clinch mit mir selbst und den Erfindern von elektronischen Geräten, die der Meinung waren, eine Fernbedienung würde die Direktbedienbarkeit eines Gerätes komplett ersetzen. Ich kann es nicht leiden, wenn man Geräte nur mit der Fernbedienung bedienen kann, dazu sind Fernbedienungen viel zu anfällig dafür, verlegt zu werden.

Als das Forum irgendwann dann mal zugemacht wurde, bin ich noch mit ins Desperado gezogen, wo ich bis in die Morgenstunden verblieben bin. Auf dem Heimweg bin ich dann noch von einem auch nicht mehr ganz nüchternen Menschen angesprochen worden, er hätte gedacht, ich sei ein Nazi. Ich erwiderte, die brauche kein Mensch. So lud er mich auf einen Wein ein, was ich aus Müdigkeit und der Ansicht heraus, ich habe schon genug Alkohol in meinem Blute,  ablehnte. Zum Abschluss wies er mich noch daraufhin, dass er Marokkaner sei. Mir fiel nur noch ein: „Ich nicht.“


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Aktualisiert ( Samstag, 01. Mai 2010 um 10:52 )