Bereits vor einiger Zeit war ich im Bunker Ulmenwall auf einer Veranstaltung, die dem Gedenken eines Verstorbenen gewidmet war, den ich nicht persönlich kannte. Es war das musikalische Programm, was mich zu dieser Veranstaltung gezogen hatte. Bekannte fragten mich: „Und woher kanntest du Reiner?“ und ich begann, mich etwas fehl am Platze zu fühlen. Die musikalischen Beiträge an dem Abend waren zweifelsohne den Besuch wert. Dazwischen immer wieder Erinnerungen von Menschen, die ihn kannten. Dabei fühlte ich mich leicht unbehaglich, als wäre ich in eine privat-intime Angelegenheit geplatzt.
Nun stand nach diesem Gedenkkonzert für Reiner Schürmann vom Kulturamt erneut ein Gedenkkonzert im Bunker an für jemanden, den ich auch nicht persönlich kannte. Erhard „Pollux“ Hessling, ehemals im Vorstand vom Bunker Ulmenwall und später als Konzertagent weiter dem Bunker verbunden, ist bereits 2014 verstorben. Ein Konzerttermin mit der Band The Thing, die in Pollux einst ihren ersten Agenten fanden, ließ sich aber erst jetzt im April 2016 realisieren. Inzwischen ist die Band im Jazz eine große Nummer, nicht bloß durch Kollaborationen mit Neneh Cherry oder Thurston Moore. Die Band verzichtete auf die Gage und der Bunker war voll. Dieses mal stand für die Allgemeinheit auch eher die Live-Musik im Vordergrund.
Die für den Laden charakteristische Raumaufteilung, die es unmöglich macht, als Band dem Publikum frontal gegenüberzutreten, weil die Bühne von drei Seiten einsehbar und von zwei gegenüberliegenden Seiten bestuhlt ist, lässt kreativen Spielraum für die Instrumentenaufstellung. In der Regel sind dort die Musiker einander zugewandt. In diesem Fall stand das Schlagzeug am Bühnerand zum Publikum, so dass der Schlagzeuger einen Teil der Zuschauerstühle direkt im Rücken hatte. So dicht, dass er sich von denen, die dort saßen, seine diversen Sticks in Caddy-Manier hätte anreichen lassen können. Lange blieben diese drei Stühle hinter dem Schlagzeug frei. Es wollte keiner so recht so dicht hinter dem Drummer sitzen. Ein Pärchen kam dann etwas später und musste nehmen, was an Plätzen übrig war.
Bevor The Thing loslegen durften, gab es aber noch eine Vorband. Das Ensemble Freie Musik, deren Mitglied auch Pollux einst war, saß und stand im Raum verteilt, mitten im Publikum. Da konnte sich so manch einer beim ersten Bläsereinsatz bös erschrecken. Das war noch auch der Abteilung relativ getragenener Free Jazz. Dieses Terrain sollte The Thing, das Trio um Saxophonist Mats Gustavson, dann aber auch schnell mit aller Gewalt verlassen.
Behutsam starteten Saxophon und Kontrabass. Die beiden Zuhörer hinter dem Schlagzeug saßen noch ruhig da. Dann setzte der Schlagzeuger mit ein. Beim ersten Snareschlag, fiel der Mann hinter ihm fast vom Stuhl, wankte irritiert hin und her. Und irgendwann verließen die beiden auch ihre Spitzenplätze, die dann bis zum Ende leer blieben.
Die Stücke von The Thing fingen in der Regel eher ruhig an, die Band entwickelte einen ungeheuren Groove und entlud sich immer wieder in ausgiebigen mächtigen Eruptionen. Körperteile, die mit Gelenken versehen sind, wippten bei mir hin und her. Ich blieb zwar sitzen, aber nicht ruhig sitzen. Der Bassist wechselte gelegentlich zwischen Steh- und E-Bass. Und Mats wechselte vor allen die Farbe seines Kopfes in knallrot. Die Instrumente waren dem salzigen Schweißregen der Musiker ausgeliefert. Und nach einem Stück als Zugabe sollte ihnen dann auch die Erholung gegönnt sein. Als ich mir im Anschluss noch eine Platte gekauft habe, hatte Mats schon erheblich Probleme mit der Wechselgeldberechnung.
Sechs Tage zuvor war ich auch im Bunker, als Wolfgang Büllesbach, Volker Backes und Thomas Helmke uns und einander aus der Konserve die Musik vorgespielt haben, die ihnen zum Thema Melancholie einfiel. Rund wurde die Sache durch die Literatur, die sie dazu verlesen haben. So durften wir etwa erfahren, dass der junge Thomas Helmke die Sängerin Doris Nefedov verehrte. Das war insgesamt ein sehr kurzweiliger Abend, die Musik jedoch für meinen Geschmack weniger spannend, als sie hätte sein können. Wenn ich bei solch einer Veranstaltung ein Fleetwood-Mac-Stück vorspielen würde, dann griffe ich nicht zu einem der belanglosesten Stücke von „Rumours“.
Ich war auch so frech, Volker zu korrigieren, als er behauptete, Fleetwood Mac hätten vor dem Zugang von Lindsey Buckingham drei Gitarristen verschlissen. Der vierte Mann an der Gitarre hat einfach zu viel Gutes hinterlassen, um immer wieder unter den Tisch zu fallen. Und wenn es um Melancholie geht, dann ist man bei Fleetwood Mac gerade mit drei der fünf Alben am besten bedient, bei denen Welch mitwirkte. Das wären dann: „Future Games“, „Bare Trees“ und „Mystery to Me“. Und wo ich schon dabei bin – für harten Bluesrock empfehle ich den 1970er Mitschnitt „Live at the Boston Tea Party“, bei dem die Band noch Peter Green, Jeremy Spencer und Danny Kirwan gemeinsam als Gitarristen an Bord hatte, bevor sich alle drei nach und nach in drogeninduzierte Verwirrung begeben haben.
Für mein Gusto hatte an dem Abend Wolfgang Büllesbach die feinste Musik auf den Tisch gepackt. Er startete mit Wolfgang Sauer (Saxophon) und Michael Wollny (Klavier). Auf der Live-CD, die ich von dem Duo besitze, befindet sich eine sehr schöne Version von „Nothing Compares 2 U“, die sicher auch gut zu diesem Abend gepasst hätte, denn a) geht das durchaus als melancholisch durch und b) war es leider genau der Todestag des Komponisten (Prince), was nach der Pause auf der Bühne auch den Zuschauern verkündet wurde, die es bis dahin noch nicht mitbekommen hatten.
Zwischendrin gab es noch eine Quizshow-Einlage, bei der ich gerne als Kandidat mitgemischt hätte, jedoch der Geschlechtergleichberechtigung zum Opfer gefallen bin. Der Kandidat, der gewonnen hat, wusste alles, was ich auch gewusst habe und wusste alles nicht, was ich auch nicht wusste.
Neu für mich war dann der schwedische Jazz-Pianist Jan Johansson, von dem Wolfgang Büllesbach zwei Stücke auflegte. Und auch wenn ich Johansson namentlich nicht kannte, ist er mir als Komponist schon seit Kindertagen vertraut. Sein bekanntestes Stück heißt „Här kommer Pippi Långstrump“, was in einem melancholisierten Arrangement den Abend beschließen durfte, nachdem zuvor Thomas Helmke noch einen Song live singend und Akustikgitarre spielend dargeboten hatte.
Nach der Veranstaltung zum Thema Melancholie wollen die drei als Die Plattenspieler noch zwei weitere Themen mit weiteren Bunkerabenden abdecken, die dann noch terminlich angekündigt werden. Ich persönlich trete gelegentlich im Altenbereich als Der Plattenspieler in Erscheinung, spiele Musik aus der Konserve vor und erzähle etwas dazu. Wer daran interessiert ist, darf mich auch gerne kontaktieren. Und die drei Herren HelmkeBackesBüllesbach sind mir doch zu sympathisch, um sie zu wegen der Namens- und Konzeptähnlichkeit mit einer Plagiatsklage anzugehen.