Ueberfall

 
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Schaulust

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Jeder kennt das, ist irgendwo ein Unfall, ein Feuer oder ähnliches zu sehen, fliegen sofort alle vorbeikommenden Blicke direkt auf das Geschehen; die Rettungswege verstopfen sich und so weiter.

Richtig schlimm ist da ja mein eigener Bruder: Der braucht nur aus dem Fenster die kleinste Rauschschwade am Horizont sehen oder ein Tatü-Tata hören, da stürmt er auf den Balkon, ortet das Geschehen und macht sich darauf vor Ort ein eigenes Nahbild.  Das fiele mir ja im Traume nicht ein. Ich wäre auch recht beschäftigt, wenn ich das so handhabte. Schließlich fährt an meiner Wohnung alle Nase lang ein Blaulichtgefährt vorbei. 

Vor zehn Jahren lebte ich noch bei meinen Eltern – und mein Bruder ebenso. Ich lag schon längst im Bette, da hüpfte mein Bruder in seine Tageskleidung, mit euphorischem Ruf „Das Katzenholz brennt!“ an meinem Zimmer vorbei und auf sein Fahrrad. Das Feuer betraf am Ende doch nicht gleich den ganzen schönen Wald, sondern lediglich eine Wohnung. Da war die sensationslüsterne Fantasterei doch etwas mit ihm durchgegangen.

Und ich mag diesen Wald immer noch – obwohl die Verlandung des darin einst befindlichen Ententeichs eine Straftat an meinem ästhetischen Empfinden darstellte. Es war das schönste, was ich in melancholischer Stimmung tun konnte, mich auf die Mühlenburgsche Familiengruft setzen und meinen Blick auf den Ententeich schweifen lassen. Wenn's sein musste, auch mit Tränen in den Augen. Jetzt kann man dort nur noch auf eine dröge Lichtung blicken, wenn man auf der Gruft sitzt. Und wo hätte man als Kind des Winters schöner von den Eltern unbeobachtet ins Eis einbrechen können?!

Letztens holte mein Bruder mich mit dem Auto von Bielefeld nach Spenge ab, da erschien ihm am Horizont ein orangener Rettungshubschrauber.  Den direkten Weg konnte ich dann natürlich vergessen. Er fuhr solange kreuz und quer durch die Karpaten, bis er den Hubschrauber im gelandeten Zustand wiederfand. 

Herrje, dabei war er doch als Dötze selbst MItglied bei der freiwilligen Feuerwehr.

Als ich heute überdurchschnittlich lang vor einer roten Ampel verharren musste, weil sechs Feuerwehrwagen plus ein Krankenrettungswagen mit Getöse an mir vorbei zum Bahnhof düsten, kribbelte in mir schon ein dezentes Gefühl der Neugier. Die Befriedigung dieses Gefühls verbot ich mir diszipliniert.

Sollte der Bielefelder Bahnhof inzwischen nicht mehr existieren, so werde ich das auch morgen noch früh genug erfahren. Und dann erzähle ich auch meinem Bruder davon, der vor Neid erblassen wird.


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