Montag, 03. April 2017 um 18:59
Mars Galliculus
Gegen 11.30 Uhr holen sie mich ab. Das Vorhaben ist ja schon irgendwie Wahnsinn: Von Bielefeld nach Waiblingen für ein Klavierrecital. Ich selber wäre auf die Idee gar nicht gekommen. Wenn mich aber jemand großzügig mitnimmt in die Ferne und dabei dann auch noch gute Musik im Vordergrund steht, braucht es aber trotzdem wenig Überredungskunst, mich mit an Bord zu bekommen. Also geht die Fahrt mit Ted und Bäumchen tief in den Süden. Meine Geografiekenntnisse sind mängelbehaftet genug, dass es mich überrascht, wenn der Weg sogar schon durch den Freistaat Bayern führt. Die Musik, die ich für die Fahrt zum Abspielen der Musikanlage im Auto eingesteckt habe, muss allerdings stumm bleiben, da Teds alter Bulli lediglich mit Kassettendeck ausgestattet ist und ich auf diese Variante dann doch nicht vorbereitet bin. Aber die Fahrt ist kommunikativ, und der musikalische Tagesschwerpunkt liegt auf dem Pianisten Nikolai Tokarev und den Komponisten Tschaikowsky und Mussorgsky. Vor der Abfahrt in Rietberg, um mich in Bielefeld aufzusammeln, meinte Ted noch zu Bäumchen, es wäre immer klug, vor der Abfahrt zu solch einem Konzert vorher nachzuschauen, ob die Veranstaltung auch wirklich stattfinde. Schließlich könne über Nacht ja das Konzerthaus abgebrannt oder der Finger des Pianisten gebrochen sein. Aus lauter Eile ist diese Vergewisserung dann doch verschoben. Als wir in Waiblingen ankommen, sieht das Bürgerzentrum dann tatsächlich schwer nach Brandschaden aus. Das Dach schwarz und zusammengebrochen, die Eingänge allesamt mit Gittern versperrt. Das ist uns nicht ganz geheuer. Ein Blick auf die Website des Bürgerzentrums informiert: Vor zwei Tage gab es einen Großbrand, Veranstaltungen finden vorerst dort nicht statt. Ich bleibe völlig entspannt, wie auch immer es weitergeht. Notfalls würde ich das als einen Ausflug in die Fremde verbuchen. Die schwäbische Sprache der Menschen vor Ort befriedigt schon merklich die allgemeine Lust auf fremde Kulturen. Heimat hing in Form von Plakaten für Auftritte von Ingo Oschmann und den Ehrlich Brothers allerdings auch an jeder Ecke. Ted staunt über seine prophetischen Äußerungen vom Morgen, und wir hoffen, dass Tokarev mit zwei gesunden Händen an einem Ausweichort sein Recital auf die Bühne bringen kann. „Wir essen erst einmal in Ruhe, dann kannst du mal nachschauen, ob es einen Ausweichort gibt.“ Glücklicherweise gibt es den dann vier Kilometer weiter in Fellbach. Vorher besichtigen wir allerdings die urige, an Fachwerkhäusern und kleinen Gässchen reiche Altstadt von Waiblingen und setzen uns für Kaffee respektive heiße Schokolade vor ein Eiscafé. Die Schwabenlandhalle in Fellbach ist schnell gefunden und wir hören die ersten Klaviertöne aus dem Bühnenhintereingang herausschweben. Neugierige Menschen, die wir sind, lugen wir durch die offene Tür und sehen in der hinteren Ecke den Pianisten am Probeflügel beim Einspiel. Wir lauschen noch ein bisschen, nehmen das als Teaser mit in den Abend. Als wir auf unseren Plätzen sitzen, hält einer der Menschen, die das Bürgerzentrum in Waiblingen betreiben eine kleine Dankesansprache zu der Hilfe, die sich nach dem Brand aufgetan hat. Eine Flasche Wein wechselt auf der Bühne noch den Besitzer und Nikolai Tokarev tritt an den Bösendorfer-Flügel. Das erste Set besteht aus dem zwölfteiligen Tschaikowsky-Werk „Die Jahreszeiten“. Von Januar bis Dezember gibt es weiche wohlig-einschmeichelnde Klänge, freundlich perlende Tschaikowsky-Melodien. Die lange Fahrt macht sich bemerkbar. Bequem im Stuhle sitzend und auf den Hinterkopf des Vordermanns blickend verfalle ich einem Dämmerzustand. Ich kämpfe dagegen an, komplett einzudösen und womöglich mit Schnarchgeräuschen die Atmosphäre zu stören. Ich bleibe erfolgreich bei Bewusstsein die ganze Zeit. Ab der Pause bin ich wieder richtig wach und munter. Teil 2 ist nichts zum Dämmern. Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ sind mir schon seit Schulzeiten vertraut, ein All-Time-Favourite von mir und in verschiedenen Arrangements in meinem Regal zu Hause. Heute Abend also für mich auch endlich einmal live zu hören in dem Arrangement, das Mussorgsky dafür vorgesehen hat: Pianoforte solo. Bislang fühle ich mich nicht als Fachmann für die Beurteilung von Interpretationen. Allzu sehr in die Tiefe wage ich mich da nicht. Ich kann sagen, ob mich die Musik berührt oder nicht. Dies berührt mich. Es reißt mich mit, ich höre die Heiterkeit der spielenden Kinder, die Schwere des Ochsenkarrens und vor allem die Majestätik des großen Tores von Kiew. Tokarev spielt mit Präzesion, Schwung und Leidenschaft. Während des musikalischen Werks werden im Hintergrund auf eine Leinwand malerische Werke von Kandinsky projiziert. Für mich funktioniert diese Verbindung zum größten Teil nicht. Vielleicht ist es da auch einfach hinderlich, dass die schon Mussorgskys Betitelungen nicht so recht zu Kadinskys Bildern passen wollen. Ich hangele mich auch die ganze Zeit am Programmheftchen entlang, um auf Stand zu bleiben, welches Bild Mussorgsky gerade beim Komponieren vor Augen hatte, dabei fällt es schwerer, dazu widersprüchliche Bilder zuzulassen. Das Klavierspiel war doch die anstrengende Anreise schon wert. Aber was will ich mich über Anreise beklagen? Tokarev kam nicht bloß aus Bielefeld, sondern gleich aus Dubai. Zugaben gibt er auch noch drei: Rachmaninov, Chopin und nochmal Tschaikowsky. Bei Emerson, Lake & Palmer hörten die „Pictures of an Exhibition“ ja auch schon mit Tschaikowsky als Zugabe auf. Und dann ist er auch sichtlich erschöpft. Und ab geht es wieder gen Ostwestfalen für uns. Fünf Stunden Autobahn. Unterwegs überholen wir über die ganze Strecke verteilt zwei Lkw und zwei Busse des Showmagier-Duos Ehrlich-Brothers. Erst staunen wir darüber, mit welch mächtiger Entourage und Gepäck die unterwegs sind. Dann kommt mir die Lösung: Das sind keine vier Fahrzeuge. Das ist ein Zaubertrick. In Wirklichkeit ist das insgesamt nur ein halber Bus.
Aktualisiert ( Dienstag, 04. April 2017 um 05:18 )
Montag, 02. Mai 2016 um 13:21
Mars Galliculus
Bereits vor einiger Zeit war ich im Bunker Ulmenwall auf einer Veranstaltung, die dem Gedenken eines Verstorbenen gewidmet war, den ich nicht persönlich kannte. Es war das musikalische Programm, was mich zu dieser Veranstaltung gezogen hatte. Bekannte fragten mich: „Und woher kanntest du Reiner?“ und ich begann, mich etwas fehl am Platze zu fühlen. Die musikalischen Beiträge an dem Abend waren zweifelsohne den Besuch wert. Dazwischen immer wieder Erinnerungen von Menschen, die ihn kannten. Dabei fühlte ich mich leicht unbehaglich, als wäre ich in eine privat-intime Angelegenheit geplatzt. Nun stand nach diesem Gedenkkonzert für Reiner Schürmann vom Kulturamt erneut ein Gedenkkonzert im Bunker an für jemanden, den ich auch nicht persönlich kannte. Erhard „Pollux“ Hessling, ehemals im Vorstand vom Bunker Ulmenwall und später als Konzertagent weiter dem Bunker verbunden, ist bereits 2014 verstorben. Ein Konzerttermin mit der Band The Thing, die in Pollux einst ihren ersten Agenten fanden, ließ sich aber erst jetzt im April 2016 realisieren. Inzwischen ist die Band im Jazz eine große Nummer, nicht bloß durch Kollaborationen mit Neneh Cherry oder Thurston Moore. Die Band verzichtete auf die Gage und der Bunker war voll. Dieses mal stand für die Allgemeinheit auch eher die Live-Musik im Vordergrund. Die für den Laden charakteristische Raumaufteilung, die es unmöglich macht, als Band dem Publikum frontal gegenüberzutreten, weil die Bühne von drei Seiten einsehbar und von zwei gegenüberliegenden Seiten bestuhlt ist, lässt kreativen Spielraum für die Instrumentenaufstellung. In der Regel sind dort die Musiker einander zugewandt. In diesem Fall stand das Schlagzeug am Bühnerand zum Publikum, so dass der Schlagzeuger einen Teil der Zuschauerstühle direkt im Rücken hatte. So dicht, dass er sich von denen, die dort saßen, seine diversen Sticks in Caddy-Manier hätte anreichen lassen können. Lange blieben diese drei Stühle hinter dem Schlagzeug frei. Es wollte keiner so recht so dicht hinter dem Drummer sitzen. Ein Pärchen kam dann etwas später und musste nehmen, was an Plätzen übrig war. Bevor The Thing loslegen durften, gab es aber noch eine Vorband. Das Ensemble Freie Musik, deren Mitglied auch Pollux einst war, saß und stand im Raum verteilt, mitten im Publikum. Da konnte sich so manch einer beim ersten Bläsereinsatz bös erschrecken. Das war noch auch der Abteilung relativ getragenener Free Jazz. Dieses Terrain sollte The Thing, das Trio um Saxophonist Mats Gustavson, dann aber auch schnell mit aller Gewalt verlassen. Behutsam starteten Saxophon und Kontrabass. Die beiden Zuhörer hinter dem Schlagzeug saßen noch ruhig da. Dann setzte der Schlagzeuger mit ein. Beim ersten Snareschlag, fiel der Mann hinter ihm fast vom Stuhl, wankte irritiert hin und her. Und irgendwann verließen die beiden auch ihre Spitzenplätze, die dann bis zum Ende leer blieben. Die Stücke von The Thing fingen in der Regel eher ruhig an, die Band entwickelte einen ungeheuren Groove und entlud sich immer wieder in ausgiebigen mächtigen Eruptionen. Körperteile, die mit Gelenken versehen sind, wippten bei mir hin und her. Ich blieb zwar sitzen, aber nicht ruhig sitzen. Der Bassist wechselte gelegentlich zwischen Steh- und E-Bass. Und Mats wechselte vor allen die Farbe seines Kopfes in knallrot. Die Instrumente waren dem salzigen Schweißregen der Musiker ausgeliefert. Und nach einem Stück als Zugabe sollte ihnen dann auch die Erholung gegönnt sein. Als ich mir im Anschluss noch eine Platte gekauft habe, hatte Mats schon erheblich Probleme mit der Wechselgeldberechnung. Sechs Tage zuvor war ich auch im Bunker, als Wolfgang Büllesbach, Volker Backes und Thomas Helmke uns und einander aus der Konserve die Musik vorgespielt haben, die ihnen zum Thema Melancholie einfiel. Rund wurde die Sache durch die Literatur, die sie dazu verlesen haben. So durften wir etwa erfahren, dass der junge Thomas Helmke die Sängerin Doris Nefedov verehrte. Das war insgesamt ein sehr kurzweiliger Abend, die Musik jedoch für meinen Geschmack weniger spannend, als sie hätte sein können. Wenn ich bei solch einer Veranstaltung ein Fleetwood-Mac-Stück vorspielen würde, dann griffe ich nicht zu einem der belanglosesten Stücke von „Rumours“. Ich war auch so frech, Volker zu korrigieren, als er behauptete, Fleetwood Mac hätten vor dem Zugang von Lindsey Buckingham drei Gitarristen verschlissen. Der vierte Mann an der Gitarre hat einfach zu viel Gutes hinterlassen, um immer wieder unter den Tisch zu fallen. Und wenn es um Melancholie geht, dann ist man bei Fleetwood Mac gerade mit drei der fünf Alben am besten bedient, bei denen Welch mitwirkte. Das wären dann: „Future Games“, „Bare Trees“ und „Mystery to Me“. Und wo ich schon dabei bin – für harten Bluesrock empfehle ich den 1970er Mitschnitt „Live at the Boston Tea Party“, bei dem die Band noch Peter Green, Jeremy Spencer und Danny Kirwan gemeinsam als Gitarristen an Bord hatte, bevor sich alle drei nach und nach in drogeninduzierte Verwirrung begeben haben. Für mein Gusto hatte an dem Abend Wolfgang Büllesbach die feinste Musik auf den Tisch gepackt. Er startete mit Wolfgang Sauer (Saxophon) und Michael Wollny (Klavier). Auf der Live-CD, die ich von dem Duo besitze, befindet sich eine sehr schöne Version von „Nothing Compares 2 U“, die sicher auch gut zu diesem Abend gepasst hätte, denn a) geht das durchaus als melancholisch durch und b) war es leider genau der Todestag des Komponisten (Prince), was nach der Pause auf der Bühne auch den Zuschauern verkündet wurde, die es bis dahin noch nicht mitbekommen hatten. Zwischendrin gab es noch eine Quizshow-Einlage, bei der ich gerne als Kandidat mitgemischt hätte, jedoch der Geschlechtergleichberechtigung zum Opfer gefallen bin. Der Kandidat, der gewonnen hat, wusste alles, was ich auch gewusst habe und wusste alles nicht, was ich auch nicht wusste. Neu für mich war dann der schwedische Jazz-Pianist Jan Johansson, von dem Wolfgang Büllesbach zwei Stücke auflegte. Und auch wenn ich Johansson namentlich nicht kannte, ist er mir als Komponist schon seit Kindertagen vertraut. Sein bekanntestes Stück heißt „Här kommer Pippi Långstrump“, was in einem melancholisierten Arrangement den Abend beschließen durfte, nachdem zuvor Thomas Helmke noch einen Song live singend und Akustikgitarre spielend dargeboten hatte. Nach der Veranstaltung zum Thema Melancholie wollen die drei als Die Plattenspieler noch zwei weitere Themen mit weiteren Bunkerabenden abdecken, die dann noch terminlich angekündigt werden. Ich persönlich trete gelegentlich im Altenbereich als Der Plattenspieler in Erscheinung, spiele Musik aus der Konserve vor und erzähle etwas dazu. Wer daran interessiert ist, darf mich auch gerne kontaktieren. Und die drei Herren HelmkeBackesBüllesbach sind mir doch zu sympathisch, um sie zu wegen der Namens- und Konzeptähnlichkeit mit einer Plagiatsklage anzugehen.
Aktualisiert ( Montag, 02. Mai 2016 um 14:19 )
Montag, 18. April 2016 um 17:55
Mars Galliculus
Der erste Teil der Feierlichkeiten zu 20 Jahren Überfall ist nun am Wochenende über die Bühne gegangen. Es sah ja eigentlich mal danach aus, als würde das eine gut besuchte Veranstaltung werden. Doch einen Tag vorher ereilte mich die Nachricht, dass zwei Bands wegen Krankheit ausfallen könnten. Ich fing also am Freitagabend schon einmal damit an, mich nach zumindest einer Ersatzband umzuschauen für den Fall der Fälle. Denn an den Caminos hing ein wichtiger Teil der Backline. Am Samstagmorgen kam dann der gefürchtete Anruf: Notdurft und die Caminos mussten ausfallen. Den ganzen Abend deshalb absagen wollte ich nicht – ein nicht unerheblicher Teil des erwarteten Publikums offenbar schon. Nach einigen Absagen kurzfristig angefragter Bands erklärte sich E-Aldi sich zwei Stunden vor Einlass bereit, einzuspringen. Und die fehlende Backline haben dann kurzfristig doch noch die Ugly Hurons aus Thüringen mitgebracht. Während des Soundchecks, versuchte ich mich mit der Lichtanlage vertraut zu machen. Nach wenigen Minuten habe ich es geschafft, sie völlig lahmzulegen. Vom Fla Fla kannte sich niemand vor Ort ausreichend damit aus, um das zu retten. Mike von den Ugly Hurons fummelte eifrig daran herum, während E-Aldi irgendwann sein Set vor der Bühne in nahezu kompletter Dunkelheit startete. Schon als Back mir Brot auf der Bühne ihr Equipment aufgebaut hatten, fiel mir eine Sache auf: Man spricht sich vorher ab, wer das Schlagzeug mitbringt (durch die Ausfälle war es nur noch eine Band, die überhaupt eines benutzte) und wer Gitarrenboxen mitbringt. Wer eventuell sein Bügelbrett verleiht, ist im Vorhinein nicht geklärt worden. Also stellte Aldi sein Keyboard auf dem eigenen Bügelbrett ab und performte in gewohnt bunter Kostümierung zu seinen Halbplaybacks von Kassette. Diejenigen, die ihn bis dahin noch nicht kannten, waren verstört und begeistert. Die anderen sangen mit und wälzten sich zum „E-Aldi-Dance“ auf dem Boden. Und nach wenigen Stücken gingen von Zauberhand die Bühnenlichter auch wieder an, so dass Hits wie „Ich muss kacken und warte vor den Schranken“ und „Möhrchen aus dem Glas“ bei angemessener Illumination stattfinden konnten. Der Bruch, der folgte, war nicht so heftig, wie ursprünglich mal gedacht. Denn auch Back mir Brot aus Oldenburg und Umgebung sind textlich und musikalisch eine ziemlich schräge Nummer, wenn auch auf einem anderen Level als E-Aldi. Hier kam weniger Holzhammer zum Einsatz. Die Beats waren meist entspannter, der Humor noch absurder. Zu Keyboards kamen auch unelektronische Instrumente zum Einsatz: Gitarre, Bass und Plastikbläser. Immer wieder fühlte ich mich an die B-52s erinnert. Die Texte rieten zum Kauf von Atomstrom und Flachspülern, beobachteten den Führer in Funk und Fernsehen, gaben den Kochtipp, alles mit Hack anzurichten und glorifizierten die Kraft weiblicher Geschlechtsorgane mit entsprechender Kostümierung. Vor der Bühne fand sich mindestens ein Zuhörer zum ausufernden Ausdruckstanz berufen. Ausgelassene Zwischenrufe stellten sich ein, und über so manches Gesicht zog ein breites Lächeln. Mein Tipp an mitlesende Konzertbooker: Back mir Brot gehören viel öfter auf die Bühne! Den Abschluss haben dann die Ugly Hurons auf die Bühne gebracht. Über zwei Teile der „Sicher gibt es bessere Zeiten“-Sampler sind ein paar Songs der Band sicher auch einigen Leuten bekannt, die den Namen nicht unbedingt dazu parat haben. Die Leute, die wegen der ausgefallenen Bands fern geblieben sind, haben an der Stelle noch eine hervorragende Punkrock-Combo verpasst. Die Hurons selber bezeichnen das, was sie machen, als Brutalo-Schlager. Wenn man Schlager als sehr eingängige Songs definiert, trifft die Bezeichnung absolut zu. Und Brutalo kann man locker auf den Wumms der Musik beziehen. Persönlich waren an dem Abend nur sehr angenehme, sozial-verträgliche Menschen auf der Bühne. Das i-Tüpfelchen im Hurons-Sound sind die Posaune und die Trompete, die dem temporeichen Ganzen majestetischen Glanz verleihen. Und obendrein waren die Hurons verdammt gut aufeinander eingespielt. Da machten sich auch die jüngsten Studioaufnahmen bezahlt, die demnächst dann irgendwann erscheinen. Und nun habe ich noch einen Geburtstagswunsch an meine Leser: Am 21. Mai geht es im Fla Fla weiter mit 20 Jahre Überfall Teil 2. Ich feiere an dem Abend in meinen Geburtstag hinein und wünsche mir ein volles Haus. Es spielen Brausepöter aus Rietberg, nach fünfjähriger Pause erstmals wieder Ackerbau & Viehzucht aus dem Kreis Höxter, ZZZ Hacker und als jüngste Band des Abends Nachthimmel.
Aktualisiert ( Montag, 02. Mai 2016 um 14:20 )
Dienstag, 25. August 2015 um 17:33
Mars Galliculus
In den letzten Jahren habe ich immer wieder gesagt, unser derzeitiges Wirtschaftssystem steht kurz vor dem Zusammenbruch. Diese permanente Eskalation der Umverteilung von unten nach oben kann auf Dauer nicht gutgehen. Ein kleiner Triumph war es, als jene Partei, die den Neoliberalismus am offensten auf großen Fahnen vor sich her trägt, bei der letzen Bundestagswahl dramatisch unter die 5-%-Hürde stürzte. Völlig fassungslos war ich eine Bundestagswahl vorher, dass diese Partei mit einem Mal so weit vorne lag. Danach müssen die Wähler wohl gemerkt haben, dass das nichts ändert. Wie denn auch!? Nachdem uns der Neoliberalismus so in die Scheiße geritten hat, war doch von der FDP nun wirklich keine Erlösung zu erwarten. Wie war das doch gleich mit der Redewendung vom Bock und vom Gärtner? Die Entsolidarisierung hatte ja ausgerechnet die SPD-Regierung unter Schröder so vorangetrieben mit der Agenda 2010. Und damit das außer den direkt Betroffenen nicht so viele Menschen so unwürdig finden, haben Medien wie RTL und Bild den Typus des Sozialschmarotzers etabliert. Der Sozialschmarotzer lebt von Hartz IV in Saus und Braus und sieht grundsätzlich nicht ein, auch nur einen Finger krumm zu machen. Was die Agenda 2010 vor allem erreicht hat, sind unterirdische Lohnverhältnisse, von denen Arbeitnehmer kaum noch leben können. Die Wirtschaft profitiert davon ganz hervorragend. Zwar können die Billiglohnarbeiter hier die Produkte nicht kaufen, aber vom Import blüht die Wirtschaft auf – und nebenbei gehen andere europäische Staaten völlig vor die Hunde. Wie sehr es mich ankotzt, welche Rolle Deutschlands Politik in den Griechenland-Krise hat, davon will ich hier gar nicht anfangen. Wieder zurück zum Anfangspunkt dieses Textes: Dieses System kann nur irgendwann zusammenstürzen. Die große Frage ist dann bloß, wie es weitergeht. Es gibt da meines Erachtens im Groben zwei Richtungen. Entweder besinnt man sich und kommt zu einem solidarischen Miteinander, wie es bereits bei den Naturvölkern üblich war, bevor man ihnen voller Arroganz den angeblich so überlegenen Kapitalismus übergestülpt hat. Es wäre dafür wirklich mal an der Zeit. Das Zusammenleben und die Versorgung könnte so organisiert werden, dass es jedem (!!) gut geht. Wir haben genug Ressourcen auf dieser Welt, um alle adäquat zu versorgen. Und dann kann es uns auch von Nutzen sein, dass die technische Entwicklung soweit ist, dass mit geringem Personalaufwand Produktion laufen kann. Und man kann sich auch endlich mal von lukrativen Umweltsünden trennen, die nur aufrecht erhalten werden, weil sie Geld bringen: Autos, die mit Benzin laufen und die sogenannte geplante Obsoleszenz, die einen gigantischen Produktmüll hinterlässt. Also wieder zurück zur Glühbirne, die 100 Jahre und länger hält! Aber vor allem eben ein solidarisches Miteinander, bei dem keiner fürchten muss, unter die Räder zu kommen. Und dann gibt es da eben die andere Möglichkeit, was nach dem Zusammenbruch kommen kann oder was dieses unsägliche Wirtschaftssystem wieder retten kann: Faschismus, Rassismus, Krieg. Wir suchen uns eine Gruppe von Menschen, die wir stellvertretend für die sozialen Ungerechtigkeiten verantwortlich machen können, obwohl sie es sind, die am stärksten darunter zu leiden haben. Dabei wird zwar alles zerstört, Millionen Menschen getötet und die Nachfahren der Überlebenden tragen über mehrere Generationen psychische Macken davon, aber man darf in dem liebgewonnenem System der Unsolidarität und Asozialität bleiben. Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde Variante A attraktiver und will die Hoffnung nicht loslassen, dass wir es schaffen, dort hinzukommen. Aber wenn ich mir so anschaue, was derzeit für eine Unsuppe in Deutschland und Europa und überhaupt der Welt brodelt, fällt die Hoffnung zunehmend schwerer. Auf dem untersten Level der weltweiten Sozialhierarchie toben Kriege und blutigster religiöser Fanatismus. Dieser religiöse Fanatismus hat mit einer friedlichen Auslegung des Islam nichts zu tun. Ich hab mir mal ein bisschen angeschaut, wofür der Begriff Jihad überhaupt steht, und verstehe das so, dass es dabei im Grunde um den Weg zur Erleuchtung geht, das Erheben aus Schatten und Angst und die Hinwendung zu Licht und Liebe, das Ablegen von Allem, was uns und unserem Miteinander schadet. Das ist der Kern aller spirituellen Lehren. Und dann kommen Menschen daher, bezeichnen sich als Jihad-Kämpfer und kämpfen im Grunde gegen Licht und Liebe in die tiefste Dunkelheit hinein. Dieser Fanatismus gibt den Menschen, aus dem Opfergefühl heraus, die willkommene Gelegenheit, doch noch Macht und eine starke Identität spüren zu können. Aber in das Thema der Spiritualität will ich in diesem Text nicht allzu weit abschweifen. Aus diesen Kriegs- und Krisengebieten kommen unter unvorstellbaren Strapazen verzweifelte Menschen hierher, die sich dem Wahnsinn nicht unterwerfen wollen, und hoffen auf Hilfe. Unterwegs mussten sie vielleicht noch ansehen, wie ihre Kinder im Meer ertränkt wurden, weil diese zu laut geweint haben, um nur ein Beispiel für all die Traumata zu nennen, die sich auf so einer Flucht ansammeln. Ich könnte jeden Tag heulen und kotzen, wenn ich lese, wie Tag für Tag gegen diese Flüchtlinge gewettert wird, auf welche dummen und dreisten Lügenmärchen sich die selbsternannten Asylkritiker geifernd stürzen und ihren Hass über das Internet ergießen. Gerade prahlte eine Altenpflegerin mit ihren medizinischen Kenntnissen, mit denen sie Flüchtlingen das Leben verkürzen könnte. Von einer Altenpflegerin wünsche ich mir doch etwas mehr Mitgefühl. Und immer öfter kommt es zu Brandanschlägen auf geplante Unterkünfte. Einem Politiker, der sich gegen den Hass aussprach, wurde das Auto in die Luft gesprengt. Neonazis pinkeln in der Bahn auf Ausländerkinder … Was erleben wir da eigentlich gerade!? Wo läuft das noch hin? Dieser Flüchtlingshass bewegt sich aber eben auch in genau dem Rahmen von unsolidarischer Sozialhierarchie, wie sie der Neoliberalismus fördert. Man müsse den Konzernen nur genug Freiheiten schenken, dann würde es allen Menschen besser gehen. Das sieht man ja, wie gut das funktioniert. Also fordert man noch mehr Freiheit für die Konzerne, setzt sich zu TTIP-Verhandlungen unter Geheimhaltung an den großen Tisch. Die Welt steht in Flammen und es wird immer nur nach noch mehr Öl zum Löschen geschrien. Es wird Zeit, endlich mal wieder für mehr Gleichgewicht zu sorgen. Man kann auch nicht mehr sagen, dass es sonst bald krachen wird. Denn es kracht ja bereits gewaltig. Und wir sind noch nicht auf dem Höhepunkt dessen, wenn nicht ganz bald etwas grundlegendes zur Deeskalation geschieht. Und weil die Flüchtlingshasser, die sich selbst auch noch als Kämpfer gegen eine Regierung sehen, die sie für Verbündete linker Interessen halten, sich so sehr im systemischen Rahmen bewegen, geschieht auch recht wenig von staatlicher Seite, um sie zu stoppen. Gegen Demonstranten, die wirklich gegen Verantwortliche dieses Wirtschaftssystems auf die Straße gehen, wird staatlicherseits durchaus beherzter vorgegangen. Man hat ja schon an der NSU gesehen, wie wichtig den staatlichen Organen das Vorgehen gegen Terror aus der radikalen Rechten ist. Es bleibt die Frage: Wie geht es hier weiter? Ich habe kein Verständnis für den Hass auf Flüchtlinge und für den Hass auf alle Moslems. Ob die Flüchtlinge da sind oder nicht, ändert nichts am Hartz-IV-Satz. Keine abgefackelte Flüchtlingsunterkunft bietet auch nur einem deutschen Obdachlosen ein neues Zuhause. Die Obdachlosen sind doch für die Rassisten auch erst jetzt zum Vorschieben interessant geworden. Hätten wir keine Flüchtlinge, würde man irgendwann zum Vergasen der Obdachlosen aufrufen. Das ist genauso verlogen, wie Nazis, die sich Pädophilie zum Thema heranziehen, um der Öffentlichkeit Arbeitslager und Todesstrafe wieder schmackhaft zu machen. Wie man jetzt sieht, trägt das bereits pralle braune Früchte. Die Barbarei, die ihr „Ich bin kein Nazi, aber“-Volk da auslebt, ist kein Feldzug gegen das System. Ihr gebt nur das nach unten weiter, was ihr schon gar nicht mehr anders kennt. Wer hat euch dieses Maß an Herzlosigkeit eingetrichtert? Wir brauchen eine Revolution der Solidarität und Gemeinschaftlichkeit! Und da ist für mich dann auch jeder willkommen, der den Weg aus der jetzigen hassenden Blindheit heraus findet und erkennt, worum es wirklich geht. Wir sind alle eins und sollten deshalb jeden anderen als Teil von uns selbst behandeln.
Aktualisiert ( Dienstag, 25. August 2015 um 17:58 )
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