In den letzten Jahren habe ich immer wieder gesagt, unser derzeitiges Wirtschaftssystem steht kurz vor dem Zusammenbruch. Diese permanente Eskalation der Umverteilung von unten nach oben kann auf Dauer nicht gutgehen. Ein kleiner Triumph war es, als jene Partei, die den Neoliberalismus am offensten auf großen Fahnen vor sich her trägt, bei der letzen Bundestagswahl dramatisch unter die 5-%-Hürde stürzte. Völlig fassungslos war ich eine Bundestagswahl vorher, dass diese Partei mit einem Mal so weit vorne lag. Danach müssen die Wähler wohl gemerkt haben, dass das nichts ändert. Wie denn auch!? Nachdem uns der Neoliberalismus so in die Scheiße geritten hat, war doch von der FDP nun wirklich keine Erlösung zu erwarten. Wie war das doch gleich mit der Redewendung vom Bock und vom Gärtner?
Die Entsolidarisierung hatte ja ausgerechnet die SPD-Regierung unter Schröder so vorangetrieben mit der Agenda 2010. Und damit das außer den direkt Betroffenen nicht so viele Menschen so unwürdig finden, haben Medien wie RTL und Bild den Typus des Sozialschmarotzers etabliert. Der Sozialschmarotzer lebt von Hartz IV in Saus und Braus und sieht grundsätzlich nicht ein, auch nur einen Finger krumm zu machen. Was die Agenda 2010 vor allem erreicht hat, sind unterirdische Lohnverhältnisse, von denen Arbeitnehmer kaum noch leben können. Die Wirtschaft profitiert davon ganz hervorragend. Zwar können die Billiglohnarbeiter hier die Produkte nicht kaufen, aber vom Import blüht die Wirtschaft auf – und nebenbei gehen andere europäische Staaten völlig vor die Hunde. Wie sehr es mich ankotzt, welche Rolle Deutschlands Politik in den Griechenland-Krise hat, davon will ich hier gar nicht anfangen.
Wieder zurück zum Anfangspunkt dieses Textes: Dieses System kann nur irgendwann zusammenstürzen. Die große Frage ist dann bloß, wie es weitergeht. Es gibt da meines Erachtens im Groben zwei Richtungen. Entweder besinnt man sich und kommt zu einem solidarischen Miteinander, wie es bereits bei den Naturvölkern üblich war, bevor man ihnen voller Arroganz den angeblich so überlegenen Kapitalismus übergestülpt hat. Es wäre dafür wirklich mal an der Zeit. Das Zusammenleben und die Versorgung könnte so organisiert werden, dass es jedem (!!) gut geht. Wir haben genug Ressourcen auf dieser Welt, um alle adäquat zu versorgen. Und dann kann es uns auch von Nutzen sein, dass die technische Entwicklung soweit ist, dass mit geringem Personalaufwand Produktion laufen kann. Und man kann sich auch endlich mal von lukrativen Umweltsünden trennen, die nur aufrecht erhalten werden, weil sie Geld bringen: Autos, die mit Benzin laufen und die sogenannte geplante Obsoleszenz, die einen gigantischen Produktmüll hinterlässt. Also wieder zurück zur Glühbirne, die 100 Jahre und länger hält! Aber vor allem eben ein solidarisches Miteinander, bei dem keiner fürchten muss, unter die Räder zu kommen.
Und dann gibt es da eben die andere Möglichkeit, was nach dem Zusammenbruch kommen kann oder was dieses unsägliche Wirtschaftssystem wieder retten kann: Faschismus, Rassismus, Krieg. Wir suchen uns eine Gruppe von Menschen, die wir stellvertretend für die sozialen Ungerechtigkeiten verantwortlich machen können, obwohl sie es sind, die am stärksten darunter zu leiden haben. Dabei wird zwar alles zerstört, Millionen Menschen getötet und die Nachfahren der Überlebenden tragen über mehrere Generationen psychische Macken davon, aber man darf in dem liebgewonnenem System der Unsolidarität und Asozialität bleiben.
Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde Variante A attraktiver und will die Hoffnung nicht loslassen, dass wir es schaffen, dort hinzukommen.
Aber wenn ich mir so anschaue, was derzeit für eine Unsuppe in Deutschland und Europa und überhaupt der Welt brodelt, fällt die Hoffnung zunehmend schwerer. Auf dem untersten Level der weltweiten Sozialhierarchie toben Kriege und blutigster religiöser Fanatismus. Dieser religiöse Fanatismus hat mit einer friedlichen Auslegung des Islam nichts zu tun. Ich hab mir mal ein bisschen angeschaut, wofür der Begriff Jihad überhaupt steht, und verstehe das so, dass es dabei im Grunde um den Weg zur Erleuchtung geht, das Erheben aus Schatten und Angst und die Hinwendung zu Licht und Liebe, das Ablegen von Allem, was uns und unserem Miteinander schadet. Das ist der Kern aller spirituellen Lehren. Und dann kommen Menschen daher, bezeichnen sich als Jihad-Kämpfer und kämpfen im Grunde gegen Licht und Liebe in die tiefste Dunkelheit hinein. Dieser Fanatismus gibt den Menschen, aus dem Opfergefühl heraus, die willkommene Gelegenheit, doch noch Macht und eine starke Identität spüren zu können. Aber in das Thema der Spiritualität will ich in diesem Text nicht allzu weit abschweifen.
Aus diesen Kriegs- und Krisengebieten kommen unter unvorstellbaren Strapazen verzweifelte Menschen hierher, die sich dem Wahnsinn nicht unterwerfen wollen, und hoffen auf Hilfe. Unterwegs mussten sie vielleicht noch ansehen, wie ihre Kinder im Meer ertränkt wurden, weil diese zu laut geweint haben, um nur ein Beispiel für all die Traumata zu nennen, die sich auf so einer Flucht ansammeln.
Ich könnte jeden Tag heulen und kotzen, wenn ich lese, wie Tag für Tag gegen diese Flüchtlinge gewettert wird, auf welche dummen und dreisten Lügenmärchen sich die selbsternannten Asylkritiker geifernd stürzen und ihren Hass über das Internet ergießen. Gerade prahlte eine Altenpflegerin mit ihren medizinischen Kenntnissen, mit denen sie Flüchtlingen das Leben verkürzen könnte. Von einer Altenpflegerin wünsche ich mir doch etwas mehr Mitgefühl. Und immer öfter kommt es zu Brandanschlägen auf geplante Unterkünfte. Einem Politiker, der sich gegen den Hass aussprach, wurde das Auto in die Luft gesprengt. Neonazis pinkeln in der Bahn auf Ausländerkinder … Was erleben wir da eigentlich gerade!? Wo läuft das noch hin?
Dieser Flüchtlingshass bewegt sich aber eben auch in genau dem Rahmen von unsolidarischer Sozialhierarchie, wie sie der Neoliberalismus fördert. Man müsse den Konzernen nur genug Freiheiten schenken, dann würde es allen Menschen besser gehen. Das sieht man ja, wie gut das funktioniert. Also fordert man noch mehr Freiheit für die Konzerne, setzt sich zu TTIP-Verhandlungen unter Geheimhaltung an den großen Tisch. Die Welt steht in Flammen und es wird immer nur nach noch mehr Öl zum Löschen geschrien.
Es wird Zeit, endlich mal wieder für mehr Gleichgewicht zu sorgen. Man kann auch nicht mehr sagen, dass es sonst bald krachen wird. Denn es kracht ja bereits gewaltig. Und wir sind noch nicht auf dem Höhepunkt dessen, wenn nicht ganz bald etwas grundlegendes zur Deeskalation geschieht.
Und weil die Flüchtlingshasser, die sich selbst auch noch als Kämpfer gegen eine Regierung sehen, die sie für Verbündete linker Interessen halten, sich so sehr im systemischen Rahmen bewegen, geschieht auch recht wenig von staatlicher Seite, um sie zu stoppen. Gegen Demonstranten, die wirklich gegen Verantwortliche dieses Wirtschaftssystems auf die Straße gehen, wird staatlicherseits durchaus beherzter vorgegangen. Man hat ja schon an der NSU gesehen, wie wichtig den staatlichen Organen das Vorgehen gegen Terror aus der radikalen Rechten ist.
Es bleibt die Frage: Wie geht es hier weiter? Ich habe kein Verständnis für den Hass auf Flüchtlinge und für den Hass auf alle Moslems. Ob die Flüchtlinge da sind oder nicht, ändert nichts am Hartz-IV-Satz. Keine abgefackelte Flüchtlingsunterkunft bietet auch nur einem deutschen Obdachlosen ein neues Zuhause. Die Obdachlosen sind doch für die Rassisten auch erst jetzt zum Vorschieben interessant geworden. Hätten wir keine Flüchtlinge, würde man irgendwann zum Vergasen der Obdachlosen aufrufen. Das ist genauso verlogen, wie Nazis, die sich Pädophilie zum Thema heranziehen, um der Öffentlichkeit Arbeitslager und Todesstrafe wieder schmackhaft zu machen. Wie man jetzt sieht, trägt das bereits pralle braune Früchte.
Die Barbarei, die ihr „Ich bin kein Nazi, aber“-Volk da auslebt, ist kein Feldzug gegen das System. Ihr gebt nur das nach unten weiter, was ihr schon gar nicht mehr anders kennt. Wer hat euch dieses Maß an Herzlosigkeit eingetrichtert?
Wir brauchen eine Revolution der Solidarität und Gemeinschaftlichkeit! Und da ist für mich dann auch jeder willkommen, der den Weg aus der jetzigen hassenden Blindheit heraus findet und erkennt, worum es wirklich geht. Wir sind alle eins und sollten deshalb jeden anderen als Teil von uns selbst behandeln.